Eröffnung der UNFSS+2 in Rom:  Gegenbewegung ruft aufgrund der zunehmenden Orientierung des Gipfels an industriellen, unternehmensgesteuerten Ernährungssystemen zu echter Veränderung auf.

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) eröffnet heute in Rom, Italien, in Zusammenarbeit mit dem International Fund for Agricultural Development (IFAD), dem Welternährungsprogramm, dem UN Food Systems Coordination Hub und zugehörigen UNO-Einrichtungen die Bestandsaufnahme für den UN-Weltgipfel zu Ernährungssystemen (UNFSS) +2 (24. bis 26. Juli).

Die UNFSS +2 Bestandsaufnahme

Der UNFSS hält seit 2021 alle zwei Jahre eine Bestandsaufnahme ab, um den Fortschritt hin zur Erfüllung der Agenda für 2030 zu überprüfen. Die überwältigende Anzahl an der Leitung des Gipfels beteiligter internationaler Einrichtungen und Körperschaften und seine komplexe Bezeichnung lassen ihn in der öffentlichen Wahrnehmung eher abschreckend erscheinen.

Trotzdem haben zivile Organisationen, kleine Landwirtschaftsverbände, Umweltverbände und andere, die sich mit wahrer Nachhaltigkeit in Sachen Ernährungssysteme befassen, den letzten UN-Ernährungsgipfel mit Interesse verfolgt, in der Hoffnung, dass er Fortschritte hin zu gesünderen, nachhaltigeren und gerechteren Ernährungssystemen bewirken würde. Allerdings hat sich der UNFSS von 2021 den wichtigsten Faktoren der zunehmenden Hunger- und Klimakrise nicht gewidmet, nämlich der COVID-19-Pandemie, der industriellen Landwirtschaft und der stark unternehmensgeprägten Struktur der Ernährungssysteme; er hat versagt, indem die UNO sich der Beeinflussung durch große Privatunternehmen und ihre Netzwerke noch weiter öffnete, ohne dass eine Rechenschaftsstruktur für Unternehmen vorlag; und er hat in Bezug auf Menschenrechte versagt.

Die Bestandsaufnahme UNFSS +2 ist nun im Begriff, die Fehler des Gipfels zu wiederholen, indem der Beeinflussung durch Unternehmen und ihre Netzwerke noch weiter Tür und Tor geöffnet wird und nach wie vor keine Rechenschaftsstruktur für Unternehmen vorhanden ist.

Daher organisiert die People’s Autonomous Response to the UN Food Systems Summit auch dieses Jahr ebenso wie 2021 eine Gegenbewegung, der Slow Food seit ihrer Gründung angehört.

Zwei Jahre später: kein Richtungswechsel

Wie bereits im Statement der People’s Autonomous Response to the UN Food Systems Summit+2 angemerkt, ist der UNFSS+2 Gipfel so organisiert, dass die Notwendigkeit eines tiefgehenden strukturellen Wandels unserer Ernährungssysteme missachtet und stattdessen ein Modell hochgehalten wird, das dem Profit größeres Gewicht als den Interessen der Allgemeinheit einräumt.

Die konkreten Vorschläge und Forderungen in Bezug auf Förderung der Agroökologie, Lebensmittelsouveränität, Biodiversität, Geschlechtergerechtigkeit und Diversität, Jugendvertretung, Klimagerechtigkeit, wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit von Ernährungssystemen, die verschiedene Gruppen in den letzten drei Jahren vorgetragen haben, wurden konsequent ignoriert. Dies ist besonders angesichts des zunehmenden Hungers, der Unterernährung, der Ungleichheit und der miteinander verflochtenen existenziellen Krisen besorgniserregend, vor denen die Menschheit und der Planet heute stehen. Das jüngste Richtlinien-Briefing der FIAN „Food Systems Transformation: In which direction?“ (Transformation der Ernährungssysteme: in welche Richtung?) unterstreicht, dass die Bestandsaufnahme des FSS+2 sich einem der Hauptdefizite des Gipfels selbst widmen will: der Tatsache, dass keine zwischenstaatlichen Prozesse und Ergebnisse erreicht wurden. Es herrscht allgemeine Besorgnis, dass der FSS+2 eine „Mitmachfalle“ ist, bei der Regierungen durch ihre Beteiligung auf höherer Ebene den UNFSS-Prozess de facto nachträglich legitimieren und dadurch seine Doppelstrukturen und die Agenda unternehmensgesteuerter Ernährungssysteme akzeptieren.

Das Ziel, Ernährungs- und Landwirtschaftssysteme auf wahrhaft nachhaltige Weise zu verändern, kann nur mit Hilfe der Millionen von Menschen in der lokalen Wirtschaft geschehen, die diesen ehrgeizigen und lohnenswerten Wandel vollziehen. Aus all diesen Gründen äußert die People’s Autonomous Response erneut die Bedenken der Zivilgesellschaft und der Organisationen indigener Völker. Dialog soll dadurch nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr gefördert werden; Dialog muss allerdings auf demokratischem Multilateralismus beruhen und diejenigen, die für die globale Ernährungskrise verantwortlich sind, klar zur Rechenschaft ziehen.

Statt den Zeugnissen der wahren Wächter dieser Erde zuzuhören und ihre Vorschläge willkommen zu heißen, die nachhaltigen Lösungen zu fördern, die bereits existieren, und sich um ihre Umsetzung und Weiterverbreitung zu bemühen, scheint der Gipfel stattdessen eine Anstrengung einer mächtigen Allianz multinationaler Unternehmen, Philanthropen und exportorientierter Länder zu sein, das Narrativ der „Transformation der Ernährungssysteme“ zu kapern. Für die UNO sind Unternehmen und philanthropische Organisationen wie die Bill and Melinda Gates Foundation eine wichtige Finanzquelle, weshalb ihnen Einflussnahme gestattet wird. Die Organisatoren schaffen eine Illusion der Einbeziehung, obwohl völlig unklar bleibt, wer die Entscheidungsgewalt besitzt und nach welchen Abläufen Entscheidungen getroffen werden.

Die Probleme

Wir können und dürfen nicht müde werden, zu wiederholen, dass das industrielle Ernährungssystem einer der größten Verursacher des Klimawandels ist. Der IPCC-Bericht 2019 über Klimawandel und Land schätzt, dass bis zu 37 % der Treibhausgasemissionen der Gesamtheit der Ernährungssysteme entstammen. Die Einhaltung des Ziels des Pariser Klimaabkommens, die Erwärmung auf 1,5 bis 2 °C zu begrenzen, wird nicht möglich sein, ohne die Emissionen aus Nahrungsmittelproduktion und -verbrauch weltweit zu reduzieren (Clark et al., 2020). Die globale Nahrungsmittel- und Landwirtschaftsproduktion ist auch eine Hauptursache für Entwaldung, sinkende Biodiversität und Mutterbodenverlust. Die kataklysmischen Verluste an Biodiversität, die die Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services dokumentiert hat, werden die menschliche Gesundheit weiter beeinträchtigen, da kritische Ökosystemleistungen wie Nutzpflanzenbestäubung zurückgehen und Pandemien durch das Übergreifen von Wildtierkrankheiten auf menschliche Populationen leichter entstehen können.

Trotz der wachsenden Erkenntnis, dass industrielle Ernährungssysteme an so vielen Fronten scheitern, versuchen die Agroindustrie und die Lebensmittelkonzerne, die Kontrolle in der Hand zu behalten. Sie nutzen Digitalisierung, künstliche Intelligenz und andere Informations- und Kommunikationstechnologien, um eine neue Welle der Ressourcenabschöpfung, des Vermögensabzugs und der Arbeitsausbeutung zu befördern; und die Ernährungssysteme hin zu einer weiteren Machtkonzentration und immer stärker globalisierten Wertschöpfungsketten umzustrukturieren.

Der Konflikt zwischen dem Fortbestand unternehmensgesteuerter industrieller Ernährungssysteme und dem Gebot einer menschenrechtsbasierten, agroökologischen Transformation der Ernährungssystem ist überall auf der Welt offensichtlich.

In vielen afrikanischen Ländern investieren Regierungen nicht in den Landwirtschaftssektor, und öffentliche Ressourcen fließen nicht in die Regionen. Wir verfügen über Strategien auf regionaler und afrikanischer Ebene, doch es mangelt an dem Willen, diese Richtung einzuschlagen. Wir können uns nicht weiter durch philanthropische Vereinigungen verschmutzen lassen, die die Finanzierungslandschaft mit Auflagen versehen und verzerren.

Was brauchen wir zum Lösen der Ernährungskrise? Es ist einfach: Kleinerzeuger ernähren unseren Kontinent, Bauern, die den Großteil der Bevölkerung ausmachen, produzieren und essen, was sie produzieren. Damit sie nicht zu schwach sind, benötigen wir eine klare Unterstützungspolitik, eine Stärkung nachhaltiger Produktionssysteme und vor allem ein Saatgutsystem, das dafür sorgt, dass vielfältige Nahrungsmittel auf dem Markt erhältlich sind. Afrika ist zu einem Symbol des Kampfes geworden. Wir müssen uns organisieren, Allianzen schmieden und dafür kämpfen, dass Staaten sich nicht länger beugen.

Mit Blick auf den globalen Norden ist eine der größten Herausforderungen die industrielle Tierhaltung, wozu auch die Energieerzeugung durch Tiere zählt. Bauern verschwinden und Biodiversität sinkt, und die Bindung der Landwirte zur Natur wird zerstört. Computerprogramme ohne Verbindung zur Natur werden über unsere Ernährung entscheiden. Die technischen Tricks und so genannten „naturbasierten“ Hightech-Lösungen sind nur ein Mittel, um riesige Mengen an Daten zu Saatgut, Viehbestand und Ernährungsgewohnheiten zu sammeln. All diese Daten dienen nicht den Verbrauchern und der Ernährungssicherheit; vielmehr besteht ein großer Interessenkonflikt mit den dahinterstehenden Unternehmen. Diese Datensammlungen zielen darauf ab, die Lebensmittelproduktion der Welt zu kontrollieren, doch stattdessen gilt es, diese Technologien auf demokratische und offene Weise zu nutzen.

Der Gipfel verstärkt den Trend hin zu offenen Türen für industrielle Technologieunternehmen, die Landwirten ihre Produkte aufzwingen wollen.

Agroökologie, die richtige Lösung

Die Lösungen sind in Form der Agroökologie bereits bekannt und dokumentiert.

Unser Vorschlag lautet: Agroökologie, eine alternative Lebensweise und ein harmonisches Zusammenspiel mit der Natur. Ein systematisierender Ansatz. Wir rufen die Staaten auf, uns zuzuhören und zu verstehen, dass wir Agroökologie nicht allein als eine Produktionsantwort befürworten, sondern auch als eine Lebensweise, die an das Wissen unserer Vorfahren anknüpft, und als Art und Weise der sozialen Organisation.

Die agroökologische Bewegung wird weiter wachsen, da lokale, diverse und ökologisch und sozial robuste Ernährungssysteme besser mit Krisen umgehen können. Regierungen und die UNO sollten diese Bewegung aktiv unterstützen und die Rolle anerkennen, die die Agroökologie bei der Linderung wirtschaftlicher Probleme und Geschlechterungleichheit, der Stabilisierung von Erträgen, der Reduzierung der Abhängigkeit von teuren und schwer erhältlichen Ausgangsmaterialien sowie der Schaffung von Arbeitsplätzen für junge Menschen spielen kann.

Slow Food fordert gemeinsam mit der People’s Autonomous Response eindringlich, dass Regierungen und die UNO die Stimme der am stärksten betroffenen Landstriche hören, einen Richtungswechsel vollziehen und ihre Bemühungen um eine echte Transformation der Ernährungssysteme unterstützen, die auf dem Respekt für die Rechte aller Menschen und der Bewahrung des Planeten basiert, indem sie Agroökologie, Ernährungssouveränität, Biodiversität, Geschlechtergerechtigkeit und Diversität, Jugendvertretung, Klimagerechtigkeit und wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit in allen Aspekten der Ernährungssysteme fördern.

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